Samstag, Oktober 02, 2010

Die Republik versteht nur Bahnhof

Stuttgart 21
Kostenvoranschlag: 7 Mrd. Euro
Vermutete Kosten: 18,7 Mrd. €
Beschädigung der Demokratie und Vertrauensverlust: unbezahlbar

Übermorgen ist der 3. Oktober, 20 Jahre Deutsche Einheit, 20 Jahre friedlicher Protest der Massen. Wäre die Mauer in Stuttgart gestanden, hätten wir dieses Jahr vielleicht nichts zu feiern.

Erstmal vorweg: Mir geht es jetzt gar nicht um ein pro oder kontra zu Stuttgart21, sondern darum, dass gestern in Stuttgart die von der Verfassung garantierten Rechte der Bürger niedergeknüppelt wurden. Der harte Einsatz war politisch gewollt. Der Einsatz war unverhältnismäßig. Die Eskalation war vorherseh- und vermeidbar. Es hätten keine Menschen zu Schaden kommen dürfen. Die Ignoranz der handelnden politischen Akteure stinkt zum Himmel. Auf gut schwäbisch sagt man: Bschiss kommt uf de Tisch! Das bedeutet, dass Lügen ans Licht kommen. Manchmal dauert's, manchmal geht's ganz schnell. Die Bloggerin @EinAugenschmaus analysierte die Körpersprache von Innenminister Rech beim Interview mit Marietta Slomka. Fast wie bei "Lie To Me". Ihre Diagnose ist klar: Der Innenminister lügt!

Interessant ist es aber auch, wenn Politiker die Wahrheit sagen. In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten sagte CDU-Fraktionschef Hauk Mitte September: "Wir sind in der Lage, die Meinungsführerschaft beim Thema Stuttgart 21 zurückzugewinnen. Dafür gibt es einen ungebrochenen Willen und die notwendige Kampfbereitschaft."Was ist das denn für eine Wortwahl? Plante der Mann einen Krieg? Er ist auf jeden Fall ein Mann, für den "ziviler Ungehorsam" in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren hat. Wie Hauk gestern im Fernsehen betonte. Da habe ich auf einem schwäbischen Gymnasium andere Dinge gelernt. Die Lektion, die gestern seitens des Staates ausgegeben wurde, lautet: Politisches Engagement ja, aber bitte ohne Störung. Baumfällen ist wichtiger als die Gesundheit der Bürger. Wer zu einer Demonstration geht, muss damit rechnen im Krankenhaus zu landen, auch wenn er sich friedlich verhält.

Das verfassungsgemäße Recht eines Volksentscheids wurde den Bürgern nicht gewährt, da die Politiker keinen Präzedenzfall schaffen wollen. (Stuttgarter Zeitung vom 16.9.: Lackmustest der Demokratie) Dass der Vorstandsvorsitzende der Herrenknecht AG, der Tunnelbohrmaschinenunternehmer Martin Herrenknecht, selber CDU-Mitglied, seiner Partei 2009 70.000 Euro gespendet hat, ist zwar nur eine Fußnote, denn die sind ja ordentlich ausgewiesen, hat jedoch "a Gschmäckle".

Ministerpräsident Mappus (CDU) sprach heute davon, dass es vielen nicht nur um das Projekt Stuttgart21 gehe. Da hat er recht, es geht um viel mehr: Es geht um die politische Kultur in Deutschland. Und um sein politisches Überleben. Er hat auch recht, wenn er sagt, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem niemand über dem Gesetz steht. Ich bin mir nur nicht sicher, dass er versteht, was das heißt. Aber ich bin überzeugt, er wird es noch merken.

Der Stuttgart-21-Song von form:
Bahnhof vom Hemmlische Friade (via spreeblick)


Unbedingt ansehen, solange es noch online ist: Stuttgart21 kostet CDU Wähler (ZDF Mediathek)




Nachtrag:
Spiegel TV 03.10.2010